Topologische Spintronik: CMOS-kompatible Materialien aus der B20-Familie

Spintronik wird chiral

Pressemitteilung /

Spintronische Bauelemente basieren auf der Nutzung des fundamentalen Elektronenspins zur Übertragung und Speicherung von Informationen. Ihr Einsatz würde keine Ladungsströme für ihren Betrieb erfordern und zu einer verbesserten Energieeffizienz mit geringerem Stromverbrauch, höherer Datenverarbeitungsgeschwindigkeit und besserer Integration von Speicher und Logik führen. Es werden jedoch geeignete Materialien für neue spintronische Implementierungen benötigt. Deren Herstellung und Analyse erfordern modernste Methoden aus der Nanotechnologie. Deshalb haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemische Physik fester Stoffe und des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme IPMS ein gemeinsames Projekt zur Erforschung neuer Materialien für die Spintronik gestartet. Gefördert wird das Projekt von der Sächsischen Aufbaubank.

© Fraunhofer IPMS
Reinraum des Fraunhofer IPMS mit 300mm-Anlagen für Forschung und Entwicklung.
© MPI CPfS
Geräte für die Herstellung von Dünnen Schichten im MPI CPfS.

Informationsverarbeitungs- und Datenspeichertechnologien, zum Beispiel für Computerspeicher oder Festplattenlaufwerke in Rechenzentren, setzen heute auf den Einsatz von Ladungsströmen, die naturgemäß mit Verlusten und hohem Energieverbrauch verbunden sind. Ein alternatives Konzept bietet die moderne CMOS-Technologie, indem sie das magnetische Moment jedes Elektrons nutzt, eine Quanteneigenschaft, die »Spin« genannt wird.  Dies ermöglicht eine höhere Datenverarbeitungsgeschwindigkeit und eine bessere Integration von Speicher und Logik bei insgesamt geringerem Stromverbrauch. Um diese Ziele zu erreichen, müssen vor allem neue Materialien mit den gewünschten Eigenschaften gefunden werden, die eine hohe Effizienz der Spinströme ermöglichen. Hier setzt das Projekt »Topologische Spintronik: CMOS-kompatible Materialien aus der B20-Familie« des Max-Planck-Instituts für Chemische Physik fester Stoffe und des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme IPMS an.

Chirale Kristalle sind eine vielversprechende Materialklasse, deren Einsatzmöglichkeiten in der spinbasierten Elektronik noch weitgehend unerforscht sind. In chiralen Materialien können die Atome, aus denen der Kristall besteht, in zwei ungleichwertigen Anordnungen vorliegen, die wie das Spiegelbild des jeweils anderen aussehen. Dies ist vergleichbar mit unserer rechten und linken Hand, die nicht übereinandergelegt werden können, wenn beide Handflächen nach unten zeigen – und wird als Chiralität bezeichnet. Das Projekt zielt darauf ab, die Lücke zwischen dem Verständnis des Zusammenhangs zwischen Chiralität und Spinströmen und der Bewertung des Potenzials chiraler Materialien für elektronische Anwendungen zu schließen.

Das Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe und das Fraunhofer IPMS haben sich zusammengetan, um die Eigenschaften von nichtmagnetischen chiralen Materialien zu erforschen und über das bisher Bekannte hinauszugehen. Die Förderung der Sächsischen Aufbaubank für das Projekt »Topologische Spintronik: CMOS-kompatible Materialien aus der B20-Familie« ermöglicht es den Dresdner Instituten, in neue Geräte für ihre modernen Forschungen und Entwicklungen zu investieren. Die Partner werden die hervorragende Ausstattung für das Materialwachstum nutzen, um neue chirale Materialien mit hoher Ladungs-Spin-Konversion zu erforschen. Die Materialien werden in die Herstellung von hochwertigen magnetischen Bauelementen für zukünftige spintronische Anwendungen integriert.

Die Gruppe von Prof. Claudia Felser am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden ist international bekannt für ihre Forschung an neuen topologischen Quantenmaterialien. »Spin und Ladung von Elektronen in chiralen Kristallen eröffnen einen neuen Weg für neue Hochgeschwindigkeitselektronik, aber es ist ein langer Weg vom Material zum Bauelement«, sagt Prof. Claudia Felser, Direktorin am Max-Planck-Institut in Dresden, »und mit unseren Kollegen vom Fraunhofer IPMS haben  wir die Möglichkeit eine Abkürzung zu nehmen.« „Dieses Projekt kombiniert unserer Expertise auf dem Gebiet der Topologie, dem Wachstum hochwertiger epitaktischer Dünnschichten und unserer Erfahrung in der Spintronik und wird es uns ermöglichen, neue Spin-Hall-Materialien in der B20-Familie mit hoher Effizienz zu entdecken«, sagt Dr. Anastasios Markou, Gruppenleiter in Felsers Gruppe.

»Diese Partnerschaft wird uns auf die nächste Stufe heben. Mit unseren Kollegen vom Max-Planck-Institut können wir mit Materialien arbeiten, die in der CMOS-Welt noch nicht verfügbar sind«, ergänzt Dr. Maik Wagner-Reetz, der für die Spintronik-Aktivitäten am Fh IPMS verantwortlich ist. Das Center Nanoelectronic Technologies des Fraunhofer IPMS entwickelt Lösungen für Prozesse und Bauelemente auf 300 mm-Wafer-Ebene für den Transfer von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung in die industrielle Anwendung. Zu den wichtigsten Kernkompetenzen gehören die Integration neuer Materialien und die Herstellung von 300 mm CMOS-kompatiblen Bauelementen.

 

Über das Fraunhofer IPMS

Das Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS steht für angewandte Forschung und Entwicklung in den Bereichen intelligente Industrielösungen, Medizintechnik und Verbesserung der Lebensqualität. Unsere Forschungsschwerpunkte sind miniaturisierte Sensoren und Aktoren, integrierte Schaltkreise, drahtlose und drahtgebundene Datenkommunikation sowie maßgeschneiderte MEMS-Systeme. Mit dem Center Nanoelectronic Technologies (CNT) leistet das Fraunhofer IPMS angewandte Forschung auf 300-mm-Wafern für Mikrochip-Produzenten, Zulieferer, Gerätehersteller und F&E-Partner.

 

Über das Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe

Das wissenschaftliche Ziel des MPI CPfS ist es, an der Spitze der modernen Festkörperchemie und Physik zu arbeiten, insbesondere im Grenzbereich zwischen beiden Forschungsfeldern.  Zu den wichtigsten offenen Fragen gehören das Verständnis des Zusammenspiels von Topologie und Symmetrie in modernen Materialien, die Maximierung der Kontrolle bei der Materialsynthese, das Verständnis der Natur intermetallischer Verbindungen und die Untersuchung von riesigen Antwortfunktionen an der Grenze zwischen dem metallischen und supraleitenden Zustand.  Diese Grundlagenforschung bildet die Basis für zukünftige anwendungsbezogene Arbeiten.

 

Referenzen

[1] P. Narang, C. A. C. Garcia, C. Felser, Nat. Mater. 20, 293 (2021).

[2] N. Kumar, S. N. Guin, K. Manna, C. Shekhar, and C. Felser, Chem. Rev. 121, 2780 (2021).

[3] N. B. M. Schröter, […], & C. Felser, l, Science 369, 179 (2020).

[4] M. Yao, […], & C. Felser, Nat. Commun. 11, 2033 (2020).