Startschuss für europäisches Vorhaben MATQu

Europäisches Gemeinschaftsprojekt schafft Wertschöpfungskette für industriell fertigbare Quantencomputer

Die (Rechen-)Leistung von Quantencomputern hängt stark von ihrem zentralen Hardwareelement ab: dem Qubit. Es existieren mehrere Ansätze zur Realisierung von Qubits, jedoch fehlen aktuell stabile, skalierbare Fertigungsmethoden, um einen Durchbruch in der industriellen Nutzung zu erreichen. Das kürzlich gestartete Projekt MATQu zielt darauf ab, das vorhandene europäische Know-how im Bereich der Materialien und Produktionsprozesse zu erweitern. So soll der europäischen Industrie der Weg zu festkörperbasierten Quantencomputern geebnet werden. Die beiden Fraunhofer-Institute IPMS und IAF bringen dabei ihre Expertise in der 300-mm-Fertigung und der Tieftemperaturmesstechnik ein.

© IMEC
Testchip mit supraleitenden Qubits in einem 300 mm integrierten Prozessprototyp.
© Fraunhofer IPMS
PVD (Physical Vapour Deposition)-Anlage zur Materialabscheidung für Qubits im 300-mm-Reinraum des Fraunhofer IPMS (Center Nanoelectronic Technologies CNT) in Dresden.

Das im Juni 2021 gestartete Projekt MATQu, kurz für Materials for Quantum Computing, will eine europäische Forschungsinfrastruktur für fortschrittliche Computing-Technologien aufzubauen. Ziel ist, durch die enge Zusammenarbeit von führenden europäischen Forschungsinstituten, Industrie und Anwendungspartnern eine europäische Lieferkette für Materialien und Prozesse für Festkörper-Qubits zu etablieren. Mit MATQu soll ein europäisches Ökosystem geschaffen werden, um Festkörper-Qubits – wie beispielsweise supraleitende Josephson-Kontakte – in die Anwendung zu bringen. Josephson-Kontakte sind derzeit die ausgereifteste Festkörperplattform für stabile supraleitende Qubits. Schwerpunkt des Projekts sind neue Materialien sowie Prozessierungs- und Charakterisierungstechnologien für Quantencomputer-Hardware.

Qubits auf dem Weg zur Marktreife

Supraleitende Qubits gehören zu den vielversprechendsten Bauelementen, um einen Quantencomputer im großen Maßstab zu realisieren. Der Erfolg der Josephson-Kontakte kann auf ihre Designprinzipien zurückgeführt werden, die auf etablierten Produktionsprozessen beruhen. Ihre Leistungsfähigkeit hängt jedoch entscheidend von der Qualität der verwendeten Substrate und der Materialien sowie der Reproduzierbarkeit der bei der Herstellung angewandten Prozesse ab. Eine stabile und etablierte Wertschöpfungskette ist daher der Schlüssel zur Verbesserung dieser Parameter in der Zukunft. So ist das technische Hauptziel des Projekts MATQu die Verbesserung und der Transfer von Materialien und Technologien aus den Laboren in den Markt. Die Projektpartner verfügen über umfangreiche Infrastruktur und werden mit ihrer Expertise in den Bereichen Materialien, Prozessintegration und Forschung dazu beitragen, robuste und reproduzierbare Qubits herzustellen. Eine industrietaugliche Fabrikationsinfrastruktur wird es ermöglichen, Prozessparameter zu optimieren und die Leistung supraleitender Qubits systematisch zu verbessern.

Verringerung der Variabilität von Qubits

Qubits werden oft als eigenwillig beschrieben; zwischen ihnen wird eine große Variabilität gemessen. Um dies zu kontrollieren, sind komplexe Methoden zum »Tunen« (Einstellen) der Qubits erforderlich. Dies wiederum erhöht die Komplexität der Quantencomputerarchitekturen im Vergleich zu traditionellen (von Neumann)-Computern. Dies ist auch einer der Hauptgründe für die derzeitigen Skalierungsgrenzen in der Anzahl der Qubits in heutigen Quantencomputern. MATQu zielt darauf ab, diese Variabilität zwischen den Qubit-Komponenten zu reduzieren. »Wir erwarten zwar in den nächsten 5 bis 10 Jahren nicht das gleiche Integrationsniveau wie bei klassischen Computerchips, aber wir werden sicherlich einen großen Schritt in Richtung Variabilitätsreduktion bei supraleitenden Qubits machen«, erklärt Prof. Rüdiger Quay, Projektkoordinator vom Fraunhofer IAF.

Silizium-Qubits aus dem Labor in die industrielle Fertigung bringen

Der Fokus des Fraunhofer IPMS im Projekt liegt darauf, die bestehenden Konzepte und Technologien aus dem Labor in die industrielle Fertigung zu bringen. Dabei beruft sich das Institut auf seine Expertise in der 300-mm-Fertigung, die bereits als Industriestandard für CMOS-Computing-Plattformen dient. »Im Projekt gewinnen wir neue Einblicke in die Material- und Prozesseinflüsse für den Herstellungsprozess von supraleitenden Qubits, insbesondere im Bereich der Abscheidung, Strukturierung und der Integration von supraleitenden Schichten. Durch neuartige Herstellungsprozesse und die Erprobung bei kryogenen Temperaturen wollen wir so die Fertigung von Bauelementen für das Quantencomputing auf europäischer Ebene voranbringen«, erläutert Dr. Benjamin Lilienthal-Uhlig, Geschäftsfeldleiter Next Generation Computing am Fraunhofer IPMS. »Ein zweiter Schwerpunkt ist für uns, gemeinsam mit Industrie- und Forschungspartnern europäischen Mittelständlern und Startups Zugang zu modernsten Fertigungsanlagen und Know-how verschaffen, um die Reife der supraleitenden Qubit-Technologie deutlich zu steigern und das europäische Ökosystem der Quantentechnologie zu stärken«, sagt Lilienthal-Uhlig abschließend.

Tieftemperaturmesstechnik zur Untersuchung der Variabilität

In dem Projekt MATQu bringt das Fraunhofer IAF seine Erfahrungen und Kenntnisse auf dem Gebiet der Tieftemperaturmesstechnik ein, insbesondere zur Untersuchung der Variabilität von supraleitenden Schichten. Das Freiburger Institut besitzt umfangreiche Geräte zur Charakterisierung von kryogenen Bauelemente, wie sie im Quantencomputing zum Einsatz kommen. Damit erhalten europäische Unternehmen, insbesondere KMUs und Start-ups, neben dem notwendigen Know-how auch Zugang zu modernsten Test- und Charakterisierungsgeräten und somit zu Schlüsselkomponenten für die Entwicklung von Quantencomputer-Hardware.