Die Zukunft der Halbleiterindustrie

Am 1. Juni 2021 verstärkte das Fraunhofer IPMS seine Institutsleitung. Dr. Wenke Weinreich, Bereichsleiterin Center Nanoelectronic Technologies, ist seither Stellvertreterin des Institutsleiters Prof. Dr. Hubert Lakner. Jörg Amelung, Bereichsleiter Aktive Mikromechanische Systeme, vertritt den geschäftsführenden Institutsleiter Prof. Dr. Harald Schenk. Im Gespräch erzählen sie von den Erfolgen des Instituts im vergangenen Jahr, den Zielen für 2022 und dem Zusammenwachsen als Team am Fraunhofer IPMS.

Interview

Was empfinden Sie als die größten Erfolge für das Fraunhofer IPMS im Jahr 2021?

Amelung — Ich bin sehr stolz darauf, dass wir es geschafft haben, trotz aller Widrigkeiten der Corona-Pandemie ein ausgezeichnetes finanzielles Ergebnis zu erzielen. Alle unsere Stammkunden sind uns treu geblieben. Ich sehe das als Zeichen, dass wir sowohl personell als auch technologisch sehr gut aufgestellt sind.

Weinreich — Das stimmt, es war aus wirtschaftlicher Sicht ein überragendes Jahr. Was ich zudem großartig finde, ist, dass wir uns im vergangenen Jahr sehr stark in strategischen Zukunftsthemen etablieren konnten. Sei es im Bereich Quantencomputing, Neuromorphic Computing oder vertrauenswürdiger Elektronik – es ist uns gelungen, uns sehr gut zu positionieren und zahlreiche neue Projekte zu starten. Auch intern sind wir im Führungskreis zusammengewachsen, und haben einen gemeinsamen Wertekanon gefunden. Dass die Zusammenarbeit trotz der eingeschränkten persönlichen Kontakte so gut funktioniert hat und wir uns als Team gefunden haben, finde ich absolut fantastisch.

 

Was waren denn Ihre persönlichen Highlights 2021?

Weinreich — Als Erstes möchte ich da natürlich den Bereich erwähnen, den ich leite, das Center Nanoelectronic Technologies. Der Umzug unseres Reinraums an den neuen Standort ist mein absolutes Highlight. Dass wir hier angekommen sind, dass wir die Büros eingerichtet haben, und vor allem, dass sich der Reinraum gefüllt hat. Am Anfang des Jahres standen wir noch in einem 4000 m² großen, leeren Raum. Und am Ende des Jahres sind die Anlagen aufgebaut und beginnen zu laufen. Das ist einfach bemerkenswert und eine unglaubliche Leistung.

Amelung — Mein persönliches Highlight sind die stabilen Kundenbeziehungen, auf die wir auch 2021 wieder bauen konnten. Wir haben schon in den vergangenen Jahren sehr viel Wert darauf gelegt, stabile, strategische Kooperationen aufzubauen. Dazu gehört auch, dass wir in unseren Projekten im Jahr 2021 sämtliche technologischen Herausforderungen an uns lösen konnten. Damit sind wir ein starker Forschungspartner für unsere Kunden und tragen zu ihrer Wertschöpfung bei. Mit diesem guten Gefühl aus dem Jahr gehen zu können – das ist für mich ein echtes Highlight.

 

Welche konkreten Ziele haben Sie für 2022?

Weinreich — Mein Ziel ist es, die oben genannten strategischen Zukunftsthemen voranzutreiben und sie vor allem in die Industrie zu bringen. Wir haben in den öffentlichen Projekten schon viele Partnerschaften geschlossen und sind in der Entwicklung so weit fortgeschritten, dass wir die Industrie mit den neuen Technologien unterstützen können. Beim Neuromorphic Computing sehe ich als Erstes das Potenzial. Zweitens ist für mich die wissenschaftliche Exzellenz und die Sichtbarkeit des Fraunhofer IPMS im wissenschaftlichen Raum sehr wichtig. Daher sehe ich es als großes Ziel, den Fokus weiter auf Veröffentlichungen in Journalen und bei Konferenzen zu setzen und da konsequent dranzubleiben.

Amelung — Wir sprechen hier ja nicht nur von 2022. Diese Themen werden uns noch jahrelang begleiten und viele Innovationen hervorbringen. Und da wollen und müssen wir uns als Innovator, also auch als Treiber, aufstellen. Gleichzeitig freue ich mich darauf, in unseren etablierten Forschungsthemen weiterhin vertrauensvoll mit unseren Kunden zusammenzuarbeiten. Der direkte Anschluss zur Industrie und der Transfer unserer Ergebnisse in die Wirtschaft sind mir sehr wichtig.

 

Was wird sich 2022 am Fraunhofer IPMS verändern?

Amelung — Der Anspruch, dass wir uns gesellschaftlich relevanten Zukunftsthemen widmen, ist eindeutig gestiegen. Dem wollen wir uns stellen. Ein Beispiel ist die Klimaneutralität 2030, die die Fraunhofer-Gesellschaft als Gesamtes, aber natürlich auch wir als Institut erreichen wollen. Als ersten Schritt haben wir für einen unserer Reinräume zusammen mit dem Fraunhofer IZM eine Umweltanalyse durchgeführt, um überhaupt einzuschätzen, wo wir stehen. Da werden sich in diesem Jahr viele Maßnahmen ergeben, die wir gemeinsam umsetzen werden.

Weinreich — Mir fällt noch ein anderes Thema ein. Durch die Umstellung des ERP-Systems der Fraunhofer-Gesellschaft auf SAP werden sich Veränderungen in verschiedensten Prozessen ergeben. Diese können wir im Moment vielleicht noch nicht so genau definieren, aber ich bin überzeugt, dass wir hier im Verlauf des Jahres agieren müssen. Das betrifft auch das neue MES-System im Reinraum, welches wir im Zusammenhang mit der Forschungsfabrik Mikroelektonik Deutschland gemeinsam einsetzen wollen.

Amelung — Die Reinräume der Fraunhofer-Gesellschaft wachsen mehr und mehr zusammen. Durch die neue Reinraumstrategie im Verbund Mikroelektronik werden wir als einer der Hauptstandorte eine größere Auslastung unseres Reinraums erfahren. Das ist eine Herausforderung, aber natürlich gleichzeitig eine große Chance – und auf jeden Fall eine wichtige Veränderung für uns. 

 

Die Halbleiterindustrie und ihr Status in Europa wird derzeit stark diskutiert – Stichwort „Chipmangel“. Wie stehen Sie dazu?

Amelung — Ich spreche hier lieber von Technologiesouveränität, denn das ist der eigentliche Kern der Diskussion. Wir brauchen eine starke Halbleiterindustrie in Deutschland, die sich international behaupten kann. Wir müssen ja auch nicht die gesamte Halbleiterindustrie abbilden, aber für die Kernindustrien in Deutschland, wie beispielsweise Automotive, müssen wir souverän die gesamte Wertschöpfungskette bedienen können. Das funktioniert aber am Ende nur, wenn der Schaltkreis aus Deutschland nicht mehr kostet als der aus Asien.

Weinreich — Bei der ganzen Diskussion sollte nicht vergessen werden, dass die Halbleiterindustrie sehr vielfältig ist. Es wird natürlich vor allem über den Chipmangel für Automotive gesprochen. Doch um welche Chips geht es genau? Welche Technologien werden jetzt oder auch perspektivisch gebraucht? Wie sieht es zum Beispiel mit Hochfrequenzelektronik, Leistungselektronik, Sensorik, dem Packaging oder Speichern aus? Darüber wird wenig oder gar nicht gesprochen, obwohl z.B. die Speichertechnologien das A und O für jegliche moderne Computing-Anwendung sind. Ich sehe die Herausforderung eher darin, sich klarzuwerden: Welche Technologien wollen und brauchen wir in Europa?

Amelung — Was ich auch noch ansprechen möchte, ist der absolute Fachkräftemangel und die Nachwuchsförderung. Das merken wir bei uns heute schon ganz deutlich. Egal, was wir technologisch etablieren – wir müssen junge Leute ausbilden und für die Mikroelektronik begeistern, um auch zukünftig leistungsfähig zu bleiben.

Weinreich — Dem stimme ich absolut zu. Wir haben ja eben schon besprochen, dass der Anspruch an die Forschung steigt, sich mit gesellschaftlich relevanten Themen zu befassen, und dass der Klimaschutz und das Umweltbewusstsein dabei eine große Rolle spielen. Die Halbleiterbranche ist davon natürlich nicht ausgenommen, aber perspektivisch wird die Mikroelektronik viele energieeffiziente Lösungen liefern. Ich glaube, wenn man stärker kommuniziert, dass wir durch unsere Forschung einen Beitrag Richtung saubere Zukunft leisten, können wir junge Leute von unserer Arbeit zu überzeugen und neue Fachkräfte gewinnen.

Weitere Informationen:

Pressemitteilung

Verstärkung der Institutsleitung am Fraunhofer IPMS

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